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Wenn es um Minuten geht

First Responder
06.05.2016
Sie heissen First Responder. Etwas über 800 entsprechend ausgebildete Leute gibt es im Kanton Bern. Sie kommen bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zum Einsatz und überbrücken die Zeit, bis ein Rettungswagen eingetroffen ist.
 
Dreizehn Minuten dauert es im Durchschnitt, bis im Kanton Bern ein Rettungswagen vor Ort ist. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist das viel zu lange. Mit jeder Minute, die ein Patient unbehandelt bleibt, sinkt die Chance, ihn erfolgreich wiederzubeleben, um 10 Prozent. Nach drei Minuten sind irreparable Schäden zu erwarten. Treffen kann es jeden und jede. In der Schweiz erleiden pro Jahr rund 8000 Personen einen Herz-Kreislauf-Stillstand.

Das sind die Tatsachen. Doch was lässt sich dagegen tun? Der Oberländer Rettungsdienst der Spital Simmental-Thun-Saanenland (STS) AG wurde vor sechs Jahren aktiv. Seither entstand über den ganzen Kanton verteilt ein Netz von etwas über 800 entsprechend ausgebildeten Leuten. Und es wurden vielerorts sogenannte AED-Geräte angeschafft. Das sind Defibrillatoren, die auch Laien bedienen können. «Das alles ist ein guter Anfang, und ich bin stolz darauf. Aber wir müssen mehr First Responder (Ersteintreffende) rekruti eren, da mit das Netz engmaschiger wird», sagt Beat Baumgartner, Leiter des Rettungsdienstes der Oberländer Spital STS AG. Er ist Vorsitzender der Steuerungsgruppe First Responder Kanton Bern und massgebend am Aufbau dieses Netzes beteiligt.

Hilfe mit der App
Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des Helfernetzes war die Einführung der App «Momentum». Wer First Responder ist, hat Zugang und wird über diese App von der Sanitätsnotrufzentrale 144 im Notfall aufgeboten. «Die Notrufzentrale ist ein wichtiger Mitspieler, ohne den es nicht ginge», sagt Baumgartner. Der First Responder registriert sich in der App und meldet, aus welchen Gemeinden er die Einsatzmeldungen erhalten möchte. Fährt Beat Baumgartner zum Beispiel in den Jura in die Ferien, meldet er seine Route und seinen Ferienort. «Es kann sein, dass ich in dieser Zeit zu einem Einsatz in Tramelan aufgeboten werde, weil ich der nächste verfügbare First Responder bin.»

Die Finanzierung
Ein First Responder braucht eine Ausbildung und ist ausgerüstet. «Bis heute wird die Ausbildung von den regionalen Rettungsdiensten finanziert», sagt Beat Baumgartner. Wer im Kanton Bern First Responder werden will, muss über 18 Jahre alt sein. Es sind Personen gefragt, die physisch und psychisch belastbar sind. Und der Besitz eines Smartphones ist Pflicht. Die angehenden First Responder absolvieren einen Grundkurs von drei Abenden oder einem ganzen Tag und sind verpflichtet, jedes Jahr einen Wiederholungskurs zu besuchen. Diese Kurse sind für die Teilnehmenden kostenlos. Sie erhalten eine kleine Tasche mit den nötigsten Utensilien wie Einmalhandschuhen und Beatmungsmasken. In der App «Momentum» sind die Standorte der De­fibrillatoren hinterlegt. Wer zu einem Einsatz fährt, weiss, wo das nächste Gerät hängt.

Um die Organisation zu erweitern und zu professionalisieren, braucht es mehr Geld. Geld, das die Rettungsdienste nicht mehr so einfach aus ihren Bu dgets au fbringen können. «Darum sind die Leiter der Rettungsdienste im Kanton daran, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen. Dabei lassen sie sich auch von entsprechenden Einrichtungen in anderen Kantonen inspirieren», so Baumgartner, der hofft, bald eine Lösung präsentieren zu können. «Denn es geht darum, Leben zu retten. Der Kanton Bern müsste imstande sein, die Überlebensquote der Tessiner zu erreichen.»

Was macht das Tessin besser?
Die Überlebenschance bei einem Herz-Kreislauf-Sillstand liegt im Kanton Bern trotz aller Anstrengungen immer noch unter 5 Prozent. Im Tessin ist sie bedeutend höher. «Im Jahr 2014 lag die Überlebensquote nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand bei 20 Prozent», erklärt Roman Burkart von der Fondazione Ticino Cuore. 16 Prozent der Tessiner Bevölkerung seien ausgebildet. Auch im Tessin leisten die Rettungsdienste den Löwenanteil dieser Ausbildung. «Bei uns vermitteln aber auch die Samaritervereine dieses Wissen.» Nicht alle, d ie einen solchen Kurs absolviert haben, werden auch First Responder.

Aber im Tessin sind rund 4000 Personen im System gemeldet. Fast alle Blaulichtorganisationen sind an Bord: Kantons-, Militär- und Bahnpolizei, alle Feuerwehren und, wie im Kanton Bern auch, alle Rettungsdienste. Die Kantonspolizei Bern macht allerdings nicht mit. Und auch nicht alle Berner Feuerwehren. Warum das so ist, konnte niemand beantworten.

Überlebende erzählen
Im Tessin tut man noch mehr: «Wir veranstalten Anlässe mit den Überlebenden. Alle Leute sollen sehen, dass wir etwas bewirken», sagt Burkart. Die Fondazione, die im Tessin bestehende Stiftung, sorgt dafür, dass der Bevölkerung Ticino Cuore ein Begriff ist. Ein Weg, der für den Kanton Bern wegweisend sein könnte. Denn ein Verein oder eine Stiftung wäre in der Lage, Samm­lungen durchzuführen und für die First Responder zu werben. «Wir erhalten durch die Fondazione auch Mitglieder- und Gönnerbeiträge, m it denen wir zum Beispiel Defibrillatoren kaufen und dann vermieten.» Übrigens: Die Tessiner bezahlen sogar etwas für die Ausbildung. Aus der eigenen Tasche oder aus der Kasse der Firma, in der sie arbeiten.

(Berner Zeitung, 9. Mai 2016)

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